Hirschau (Bericht von Werner Schulz) Sie nennt sich selbst „das letzte Hirschauer Original“ und wird am heutigen Sonntag 85 Jahre alt: Marianne Mendl. Sie ist als Lebenskünstlerin und Frohnatur bekannt, die ihr (großes) Herz nicht nur am rechten Fleck, sondern auch auf der Zunge trägt.
Dabei ist Marianne Mendl gar keine gebürtige Hirschauerin. Ihre Wiege stand in Schindlwald im Sudetenland. Dort erblickte sie als Marianne Stark am Allerweltskirwa-Samstag 1939 um 6.30 Uhr das Licht der Welt – aus Sicht der Eltern, die eine Bäckerei hatten, nicht der ideale Tag. Darum hat ihre Mutter später oft zu ihr gesagt: „Da hab’n mir so viel Arbeit g‘habt. Und dann kommst du a nu daher!“ Ihren latenten Frohsinn führt sie nicht zuletzt darauf zurück, dass sie eben ein „lustigs Kirwa-Moidl“ ist. Im August 1946 ereilte ihre Familie das Schicksal von Millionen Sudetendeutschen. Sie wurde aus ihrer Heimat vertrieben, wurde in einen Waggon verfrachtet und kam nach Hirschau. Dort wurde die Familie Stark zunächst im Schloss-Kino, dann dank der Familie Droßbach in Baracken gegenüber der AKW und anschließend in den Kreishäusern untergebracht. Noch zu gut erinnert sie sich an die ersten Schultage in der 1. Klasse. Sie wurde von der Schulschwester nach Hause geschickt, weil sie – noch von der Flucht traumatisiert – unaufhörlich weinte. „Ich habe dauernd den Waggon voller verängstigter Menschen im Kopf und einfach fürchterliche Angst gehabt.“ Nach dem Schulabschluss wurde sie zahnärztliche Helferin und arbeitete 23 Jahre lang in der Praxis von Dr. Josef Dorfner. Vier Jahrzehnte trug sie in aller Frühe die Amberger Zeitung aus. Bei ihren zwei Besuchen in der angestammten Heimat war ihr Elternhaus noch gestanden. „Das hat mich emotional stark aufgewühlt.“
In Hirschau war das gesellige Leben jahrzehntelang ohne Marianne Mendl nicht vorstellbar. Im 1989 gegründeten Wenzelkreis engagierte sie sich 27 Jahre lang als 2. Vorsitzende bis zu seiner Auflösung 2018. Der Verein kürte sie 1994 im Rahmen der Kirwa zur Wenzelin, eine Ehre, die nur einem echten Hirschauer Original zuteilwerden kann. „Ich bin eine böhmische Wenzelin!“ Nicht ohne Grund verpasste ihr der rasende AZ-Reporter Sepp Müller Anderl, Kürzel „ll“, den Titel „Volkstumsbürgereisterin“. Schließlich war sie bei den Trachtlern genauso zuhause wie bei den Tauberern und den Hoserern. Beim Musikzug ist sie schon seit 45 Jahren Mitglied. War beim Gschrei böhmischer Musikantenabend, übernahm sie eloquent die Begrüßung. In der Zwischenzeit geht sie dort nicht mehr hin, weil ihr „zu viele Auswärtige aus Böhmen“ da sind. Auch um die Klassentreffen ihres Jahrgangs kümmerte sie sich.
Besonders am Herzen lag ihr die würdevolle Verabschiedung verstorbener Hirschauer. Ihnen widmete sie bis noch vor wenigen Monaten am Grab einen selbst verfassten, persönlichen Nachruf. Die Beinamen „Friedhofsengel“ oder auch „Friedhofsbischof“ hat sie sich dadurch erworben, dass sie rund 15 Jahre als Vorbeterin bei der Aussegnung und beim Läuten der Friedhofsglocke unersetzlich war. In dieser Funktion hat sie Ex-Stadtpfarrer Bergmann wegen seines notorischen Zuspätkommens des Öfteren die Leviten gelesen. „Wir zwei waren wie Don Camillo und Peppone. Ich habe ihm gesagt, dass bei ihm einmal nicht die Glocken von Rom erklingen, sondern die Trompeten von Jericho erschallen werden.“ Richtig in Rage hatte er sie gebracht, als er ihr das Glockenläuten bei der Aussegnung verbieten wollte. „Da hab ich im Rathaus gefragt, ob die Leichenhalle auf Kirchen- oder Stadtgrund steht. Sie steht auf Stadtgrund. Dann hab ich dem Pfarrer gesagt, dass er mir in der Sache nichts zu sagen hat. „Drum hab ich geläutet und die Glocke hat im Volksmund „Marianne-Glöckerl“ geheißen.“ Kein Wunder, dass Pfarrer Bergmann resignierend zugeben musste: „Ich kann an diese Frau nicht ran!“ Eine besondere Beziehung scheint das Läutwerk der Vierzehnnothelferkirche zu ihr gehabt zu haben. Durch einen Blitzschlag war dieses funktionsunfähig, als Marianne drei Tage in Österreich war. „In dene drei Tog ist niemand g‘storbn. Als ich z‘ruckkumma bin, war die Glocke repariert. Und an dem Tog san glei drei Leit g‘storbn.“ Sehr gut ist sie auf den jetzigen Pfarrer Johann Hofmann zu sprechen. „Der passt!“, lautet ihr Kurzkommentar und fügt hinzu: „Der liebt mich. Der hat zu mir g’sagt: Wir brauchen dich!“ Einen Stein im Brett hat bei ihr auch der evangelische Pfarrer Stefan Fischer. Damit sie beim Aufhalten des fließenden Verkehrs besser geschützt war, hat sie von ihm eine Warnweste mit der Aufschrift „Im Dienste des Herrn“ und eine Winkerkelle geschenkt bekommen. Das Regeln des Verkehrs hat sie zwischenzeitlich aufgegeben. Eine Herzensangelegenheit ist ihr die liebevolle Pflege und Gestaltung der Lourdes-Kapelle. Seit 24 Jahren schmückt sie die Kapelle mit Blumen und zündet für Mitmenschen, die ihr am Herzen liegen, gerne ein Kerzerl an. Gesundheitliche Probleme können ihr Gottvertrauen nicht erschüttern. Auch wenn sie seit einiger Zeit solche hat und nur mehr mit ihrem Rollator unterwegs sein kann, hält sie an ihrem Lebensmotto fest, das da heißt: „Alt werden ist Gottes Gunst, jung bleiben ist Lebenskunst!“ Bürgermeister Hermann Falk, nach ihrem Bekunden einer „ihrer besten Freunde“, überbrachte ihr mit herzlichen Worten die Glückwünsche der Stadt.
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